Fahren unter Drogeneinfluss: Cannabis und Kokain – absolute Fahruntüchtigkeit

Die Gerichte sind sich uneins im Umgang mit Grenzwerten bei der Bewertung des § 316 StGB (Fahren unter Einfluss alkoholischer Getränker und berauschender Mittel). Ein erfahrener Strafverteidiger findet sich im Dschungel der Entscheidungen zurecht und eröffent die Erfolgschancen für die Verteidigung.

Im Folgenden wird eine sehr restriktive Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten (Berlin) dargestellt, Urteil vom 10.02.2010, Aktenzeichen (310 Cs) 3033 PLs 10607/09 (144/09), 310 Cs 144/09:

Leitsatz

Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, im Serum zur Tatzeit festgestellt wurden und bei dem der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission für Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6 Fache übertroffen ist, ist im Sinne von § 316 StGB fahruntauglich, ohne dass es auf den Nachweis von Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt.

Ferner wurde festgestellt, dass in der Serumprobe des Angeklagten 2,5 ng/ml THC (Tedrahydro-cannabinol), der Wirkstoff des Haschisch, ca. (161) ng/ml THC-Carbonsäure, der Hauptmetabolit des THC und 1,6 ng/ml 11-Hydroxy-THC, ein Metabolit des THC, nachgewiesen wurden. Es lag mithin ein aktueller Cannabiskonsum vor Fahrtantritt vor. Der hohe THC-Carbonsäurewert beweist zudem einen regelmäßigen Konsum von Cannabis-Produkten. Der THC-Wert betrug mehr als das zweieinhalbfache des von der Grenzwertekommission empfohlenen Wertes von 1,0 ng/ml THC zum Beginn der Fahruntauglichkeit bei Bußgeldsachen. Infolge der Wechselwirkung zum Cocain ist auch hier die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit im Sinne von § 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf.
5
Diese hier vertretenen Rechtsansichten zu absoluten Wirkstoffmengen bei Cocain und Cannabis sind durchaus umstritten. Die obergerichtliche Rechtsprechung und die herrschende Ansicht in der Literatur gehen bislang davon aus, dass sich im Strafrecht für die Fahruntauglichkeit aufgrund von Betäubungsmitteln keine „absoluten“ Wirkstoffgrenzen feststellen lassen. Der Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut eines Fahrzeugführers soll für sich allein noch nicht die Annahme der Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000, 4 StR 171/00, zitiert in JURIS). Entscheidend seien die Gesamtschau der Umstände und die Beurteilung der Beweisanzeichen (vgl. OLG München, Beschluss vom 30.01.2006, 4St RR 11/06 zitiert in JURIS). Dieser Rechtsansicht wird nicht beigetreten. Denn sie berücksichtigt nicht die inzwischen eingetretene wissenschaftliche Entwicklung in der chemischen Analyse der Wirkstoffe sowie ihrer Abbauzeiten und –Werte sowie die mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse über die verkehrs-medizinisch relevanten Wirkungen von Cocain und Cannabis sowie über den Verlauf des Cocain- und/oder Cannabisrausches. Diese Entwicklungen und Erkenntnisse werden in der Recht-sprechung zunehmend anerkannt. So reicht es – entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts – aus, eine Konzentration festzustellen, die es als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war und dennoch am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 30. Juni 2005, 8 Ss-OWi 103/05 zu § 24a StVG, zitiert in JURIS – Das Gericht nimmt dabei Bezug auf §24a StVG als abstraktes Gefährdungsdelikt). Es kann eine berauschende Wirkung angenommen werden, wenn die betreffende Substanz in einer Konzentration nachweisbar ist, die eine Be-einträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt (OLG Köln, aaO.). Daher wurden unter Rückgriff auf die Empfehlungen der Grenzwertkommission von der Rechtsprechung im Bußgeldbereich zu § 24a StVG Grenzen zwischen ungefährlichen und gefährlichen Wirkstoff-mengen gezogen, ohne dass es für die Verurteilung auf die Feststellung und Beschreibung von Ausfallerscheinungen oder sonstigen Beweisanzeichen ankam. Das ist nunmehr im Bußgeld-bereich gängige Meinung. Es besteht aber keinerlei Rechtfertigung, derlei Grenzziehung beim abstrakten Gefährdungsdelikt nach § 24a StVG zuzulassen, beim abstrakten Gefährdungsdelikt nach § 316 StGB aber abzulehnen, zumal die Rechtsprechung, die diese Unterscheidung zwischen § 316 StGB und § 24a StVG vollziehen will, sie nicht schlüssig begründen kann. Wenn ausgeführt wird, bei § 24a StVG handele es sich wegen der generell-abstrakten Gefährlichkeit des Genusses von Drogen um einen abstrakten Gefährdungstatbestand als Vorfeld- oder Auffang-tatbestand gegenüber der an engere Voraussetzungen geknüpften Strafvorschrift des § 316 StGB (OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 03. Mai 2001, 1 Ss 87/01, zitiert in JURIS), handelt es sich um eine schlichte Behauptung, nicht aber um eine Begründung. Absolute Grenzwerte sind bei Alkohol längst anerkannt, nachdem sie von der Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelt worden sind. Dies hat auch bei Rauschmitteln zu gelten. Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, im Serum zur Tatzeit festgestellt wurden und bei dem der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission für Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6 Fache übertroffen ist, ist im Sinne von § 316 StGB fahruntauglich, ohne dass es auf den Nachweis von Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt.
 

Drogenfahrt, § 316 StGB – Kokain, Alkohol, Ausfallerscheinungen

Gemäß § 316 StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen.

Dies ist – unabhängig von der Fahrweise – stets der Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1‰ oder mehr einwirkt. Dann liegt die sogenannte „absolute Fahruntüchtigkeit“ vor. Problematisch sind die Fälle, in denen die Blutalkoholkonzentration unter diesem Wert liegt oder auf den Fahrer „andere berauschende Mittel“ einwirken.

In diesen Fällen müssen weitere Tatsachen hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu führen [vgl. BGHSt 13, 83].

Ein Urteil, dass eine Verurteilung nach § 316 StGB beinhaltet muss aus diesem Grunde konkrete  Feststellungen zum äußeren Verhalten des Fahrzeugführers enthalten, die auf seine Fahruntüchtigkeit hindeuten. Als solche Ausfallerscheinungen kommen neben einer regelwidrigen, unbesonnenen, sorglosen oder leichtsinnigen Fahrweise auch solche Verhaltensweisen in Betracht, die eine rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lassen, sowie Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung wie beispielsweise Stolpern oder Schwanken beim Gehen [vgl. BGHSt 31, 42, 44; KG, Beschluss vom 16. März 2011 –(3) 1 Ss 59/11 (28/11)-].

Hierbei sind die Anforderungen an die rauschbedingten Ausfallerscheinungen umso geringer, je näher der Grad der alkoholischen Beeinflussung an dem absoluten Grenzwert liegt. Das Kammergericht führt in seinem Beschluss vom 15.09.2011 –  (3) 1 Ss 192/11 (73/11) – dazu folgendes aus:

 Da auf den Angeklagten lediglich 0,95‰ Alkohol und 3,8 ng/ml Kokain und 429 ng/ml Benzoylecgonin sowie 65 ng/ml Ecgoninmethylester – sämtlich Abbauprodukte von Kokain – einwirkten, war der – zudem nur für Alkohol existierende – Grenzwert nicht erreicht. Zwar ist die sachverständig beratene Strafkammer ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass infolge des Zusammenwirkens von Alkohol und Drogen das Reaktionsvermögen des Angeklagten, seine Fähigkeit, die Verkehrslage richtig einzuschätzen, beeinträchtigt sein kann und er sein Leistungsvermögen überschätzt, dies genügt jedoch für sich allein zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit nicht. Darüber hinausgehende rausch- oder alkoholbedingte Fahrfehler weisen die Urteilsfeststellungen aber nicht aus. Dass der Angeklagte „über eine Fahrstrecke von ca. 500m mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h“ gefahren ist (UA S. 4), besagt schon deshalb nichts, weil der diesem Verhalten zugrunde liegende Fahrfehler im Übersehen der entsprechenden Beschilderung liegt und nichts darauf hindeutet, dass die Ursache hierfür die alkohol- und betäubungsmittelbedingte Beeinflussung des Angeklagten gewesen ist. Dass er bei der Kontrolle durch die Polizeibeamten gerötete Augen und einen schleppenden Gang gehabt sowie zeitweilig gelallt habe, lässt auch keinen sicheren Schluss auf eine Beeinträchtigung seiner Gesamtleistungsfähigkeit durch Alkohol und Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Fahrt zu.

Fahruntauglichkeit bei Kokainkonsum – Grenzwert von 75 ng/ml BZE im Blut

Das OLG Hamm hat in seinem Beschluss vom 19.03.2007 (2 Ss OWi 91/07)  festgestellt, dass § 24a Abs.2 S.2 StVG auch in Bezug auf Kokain/Benzoylecgonin (BZE) verfassungskonform auszulegen ist.

Nach § 24a Abs.2 S.2 StVG liegt eine Wirkung eines berauschenden Mittels vor, wenn dieses im Blut nachgewiesen wird.

Hierzu hatte das BVerfG im Jahre 2004 (1 BvR 2652/03) bezüglich der Substanz THC festgestellt, dass § 24a Abs.2 S.2 StVG dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, das nicht eine beliebige Menge an THC im Blut ausreicht, sondern eine bestimmte Konzentration von THC festgestellt werden muss, die es möglich erscheinen lässt, dass die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt ist. Da sich aufgrund der fortgeschrittenen Untersuchungsmethoden die Nachweisdauer erhöht hat, können Nachweisdauer und Wirkungsdauer nicht mehr – wie noch bei der Einführung des Tatbestandes im Jahr 1998 vom Gesetzgeber zugrunde gelegt – gleichgesetzt werden. Dies gilt auch für die anderen Rauschmittel, sodass § 24a Abs.2 S.2 StVG auch in Bezug auf Kokain/BZE entsprechend verfassungskonform auszulegen ist.

Die Grenzwertkommission, die beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen angesiedelt ist, hat nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine Konzentration von 75 ng/ml als Grenzwert festgelegt. Dieser Wert besagt, dass ab dieser Konzentration BZE ohne weitere Sicherheitszuschläge sicher nachweisbar ist und dass innerhalb der letzten 24 Stunden Kokain konsumiert wurde. Zugleich besteht ab diesem Wert die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit.

Daraus ergibt sich zudem, dass bei einer Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs.2 StVG nach Kokainkonsum zu den notwendigen tatrichterlichen Feststellungen auch die Mitteilung der BZE-Konzentration des im Blut des Betroffenen gehört.