Fahren unter Drogeneinfluss: Grenzwerten bei Kokainkonsum für die Annahme der absoluten Fahruntüchtigkeit

Wer mit Kokain am Steuer festgestellt wird, sollte sich unbedingt verteidigen lassen. Für erfahrene Strafverteidiger bieten sich gute Verteidigungsansätze. Von der strafrechtlichen Fragestellung zu unterscheiden sind die möglichen verwaltungsrechtlichen Folgen bezüglich der Fahrerlaubnis, insbesondere in der Probezeit.

Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.04.2012 zum Aktenzeichen (524) 11 Ju Js 1853/10 (36/11), 524 – 36/11

Leitsatz

Nach Kokainkonsum lassen sich keine Grenzwerte festlegen, bei deren Überschreitung die absolute Fahruntüchtigkeit angenommen werden kann.Aus dem Urteil:

Zwar werden die von der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft „Bundeseinheitlicher Tatbestandskatalog“ (sog. Grenzwertkommission) am 4. September 2007 festgesetzten Grenzwerte (für Benzoylecgonin 75 ng/ml und Kokain 10 ng/ml) im vorliegenden Fall jeweils übertroffen. Dies führt aber ebenfalls nicht zur Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit: Denn bei diesen Grenzwerten handelt es sich um analytische und nicht um normative Grenzwerte. Da bundesweit nicht jedes Labor aufgrund der dort vorhandenen Ausstattung mit entsprechenden Spezialgeräten in der Lage ist, auch Kleinstmengen von Kokain oder dessen Abbauprodukten zu bestimmten, hat die Kommission bundeseinheitlich festgelegt, von welcher Mindestmenge an, jedes Labor in Deutschland in der Lage ist, sicher anzugeben, dass Kokain konsumiert wurde. Dabei entfaltet der Nachweis des Abbauprodukts Benzoylecgonin nur dann Relevanz, wenn Kokain selbst nicht nachgewiesen wurde. Im vorliegenden Fall ist also allein der Wert von 10 ng/ml Kokain zu diskutieren. Eine Rückrechnung ist anders als bei Alkohol nicht möglich, da diese Droge schnell an- und ebenso schnell abflutet und sich lineare Berechnungen deshalb verbieten. Aus dem Überschreiten des analytischen Grenzwertes kann also nur sicher geschlossen werden, dass die Angeklagte während der Fahrt unter dem Einfluss von Kokain stand. Wie hoch dosiert das Rauschgift konsumiert wurde, lässt sich aber ebenso wenig angeben wie die Auswirkungen auf das Fahrverhalten.
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Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass sich Kokainkonsum in vielerlei Hinsicht nachtteilig auf das Fahrverhalten auswirken kann. In der euphorischen Phase bewirkt er eine risikobereite oder aggressive Fahrweise etwa durch unangepasst hohe Geschwindigkeit oder riskante Überholmanöver, da das eigene Leistungsvermögen überschätzt wird. Die mit dem Rauschgiftkonsum einhergehende Pupillenerweiterung kann zu einer Verminderung des Sehvermögens führen, was sich besonders bei Tunnel- und Nachtfahrten bemerkbar machen kann. Beim Abklingen der Wirkung sind Auffälligkeiten (z.B. wechselnde Fahrgeschwindigkeiten oder Schwierigkeiten beim Spurhalten) aufgrund eines körperlichen Erschöpfungszustandes zu erwarten.
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Weitergehende Feststellungen über Kokain-Konsum und Fahrverhalten lassen sich nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht treffen, wobei der Sachverständige insbesondere auf aktuelle empirische Studien aus Frankreich (2003) und Norwegen (2008 und 2011) zurückgreifen konnte. Da Kokain in unterschiedlicher Konzentration bei unterschiedlichen Personen zu ganz unterschiedlichen Folgen führen kann, ist ein normativer Grenzwert, bei dem die absolute Fahruntauglichkeit anzunehmen wäre, derzeit nicht in Sicht.
 

Fahrerflucht, § 142 StGB

Dem Vorwurf der Fahrerflucht (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB) sieht man sich schnell ausgesetzt:

Ein kleines Anstoßen an den Wagen vor oder hinter der eigenen Parklücke, womöglich ohne sichtbaren Schaden – ein Passant oder Anwohner hat dies beobachtet und verständigt die Polizei. Oder ein Verkehrsteilnehmer beahuptet von einem anderen berührt oder touchiert worden zu sein. Dieses Szenario spielt sich so tausendfach im alltäglichen Straßenverkehr ab.

Entsteht bei der Kollison ein erheblicher Schaden im Sinne des § 142 Abs. IV StGB (laut Rechtsprechung etwa 1300 Euro, Schäden an mehreren Sachen sind zusammen zu zählen), so spricht die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB für eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dies hat bei der Veruteilung die Entziehung der Fahrerlaubis zur Folge. Während des Ermittlungsverfahrens kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, § 111 a StPO.